Dienstag, 18. Oktober 2016

Vorgeschichte Kapitel 12

12. Mr. Verbrecher

Deirdre


"Ich habe Hunger Mr. Verbrecher." Begleitet wurden ihre Worte von einem lauten, grummelnden Magenknurren. Es klang fast schon als würde ein gewaltiger Bär nach seinem Mittagessen brüllen. Ein klares Zeichen dafür dass sie etwas essen sollte.
Mit gehobener Augenbraue blickte der Brünette, der eben erst frisch aus der Dusche gekommen war und lediglich ein Handtuch um die Hüften trug, in das Gesicht des kleinen Mädchens. Sie konnte nicht so recht erkennen was er dachte oder fühlte aber er schien zumindest nicht wütend zu sein. Gestern Nacht hatte er ihr noch ziemliche Angst eingejagt als er ihr die Waffe weggenommen und sie nicht mehr hatte gehen lassen wollen.
Aber mittlerweile war sie zu dem Entschluss gekommen, dass er genau das wollte und sonst nichts. Ihr Angst einjagen. Eigentlich war er gar nicht so böse wie er aussah. Sie hatte sogar mit in seinem Bett schlafen dürfen. Auch wenn er sie immer wieder weggeschoben hatte wenn sie sich im Schlaf - natürlich absichtlich - über ihn drüber gerollt hatte damit er nicht schlafen konnte. Dabei war er doch selbst Schuld, immerhin hatte er sie hier eingesperrt und wollte sie nicht mehr gehen lassen!
"Tyson." Fragend legte sie den Kopf schräg, starrte ihn einfach wortlos an bis er mit den Augen rollte und sich dazu erbarmte ihr genauer zu erläutern was er mit diesem Namen sagen wollte. "Das ist mein Name. Du musst mich also nicht mehr 'Mr. Verbrecher' nennen." 
Einen Augenblick wirkte es als würde sie darüber nachdenken, sie machte sogar einen grüblerischen Gesichtsausdruck. In Wirklichkeit tat sie das allerdings nicht, sie wollte nur eine wirkungsvolle Kunstpause einlegen. 



"Ich glaube ich bleibe lieber bei Mr. Verbrecher."
Bekräftigend nickte das kleine Mädchen nochmal und blickte dann wieder erwartungsvoll zu dem, das Gesicht verziehenden, Mann auf, formulierte ihre Feststellung in eine Aufforderung um: "Bekomme ich bitte etwas zu essen Mr.Verbrecher?"
Ergeben seufzend fasste der Mann sich an den Kopf und nickte in Richtung Küche um ihr zu suggerieren dass sie dort auf ihn warten sollte. Direkt darauf war er auch schon ohne ein Wort der Erklärung nach oben verschwunden. So ein wortkarger Verbrecher. Er sprach wirklich wenig. Man musste ihm jedes Wort aus der Nase ziehen! Schnaubend folgte sie seiner Aufforderung trotz allem und kletterte geschickt auf einen der Barhocker, wartete darauf dass ihr Entführer endlich wieder kam. Lang dauerte es tatsächlich nicht, er hatte sich wohl nur schnell eine Hose angezogen, war sogar noch dabei sich die Haare zu trocknen als er zurück in die Küche getrottet kam.
"Wenn du ohne Oberteil herum läufst erkältest du dich!", begann sie ihn tadelnd zu belehren und schüttelte dabei den Kopf als hätte sie es mit einem unvernünftigen Kind zu tun. Dass sie selbst in diese Kategorie fiel ignorierte sie dabei einfach mal gekonnt.
Wieder hob sich eine seiner Augenbrauen und er legte das Handtuch beiläufig neben die Schachtel Zigaretten die auf der Theke hinter ihm lag, erwiderte ruhig: "Das ist in Anbetracht des momentanen Wetters eher unwahrscheinlich." Weiter ging er allerdings nicht darauf ein, wandte sich stattdessen den Schränken zu um eine Schüssel und aus einer Schublade dann noch einen Löffel zu holen. Beides stellte er beiläufig vor dem jungen Mädchen ab, holte eine Packung Milch aus dem Kühlschrank und Cornflakes aus einem der Hängeschränke.
"Bedien dich.", wurde sie aufgefordert und musterte erstmal interessiert die Verpackung der Flakes. Die mochte sie sogar! Zufrieden öffnete sie die Verpackung, schüttete so viel in die Schüssel dass sie über Dreiviertel voll war und kippte dann so viel Milch dazu dass sie bis zum Rand gefüllt war.
Als sie aufblickte bemerkte sie wie Tyson nach der Zigarettenschachtel greifen wollte, die Bewegung nach einem kurzen Blick auf sie jedoch abbrach und sich stattdessen mit verschränkten Armen gegen die Theke lehnte um sie zu beobachten. 


"Zigaretten sind ungesund und davon kann man sterben! Und Potenzprobleme bekommen."
Letzteres hatte sie etwas leiser und mit einem verschwörerischen Unterton gesagt, den 'bösen' Verbrecher aus zu Schlitzen verengten Augen angestarrt. Seine Augenbrauen schnellten Beide steil nach oben und seine Stimme klang ein wenig zweifelnd als er trotz allem sehr ruhig erwiderte: "Weißt du überhaupt was das bedeutet?"
"Du meinst Potenzprobleme? Klar, das ist so ein Erwachsenending. Da kann der Mann keinen Sex mehr haben." Er wirkte als wolle er noch etwas sagen, schien es sich dann aber wohl anders überlegt zu haben und zuckte nur kurz mit den Schultern um sie schließlich weiter zu observieren. Natürlich ließ sie sich davon nicht stören und begann mit großem Hunger ihre Cornflakes herunter zu schlingen. Die waren richtig lecker!
"Magst du nichts essen?", fragte sie nun beiläufig und begann damit sich die Cerealien in den Mund zu schaufeln. Ihr Blick fixierte sich dabei interessiert auf das mit so viel Metall verzierte Gesicht des Erwachsenen und studierte dessen undurchdringliche Miene. "Nein.", war die schlichte, knappe Antwort die sie darauf bekam.
"Aber Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit am Tag!", erklärte sie ihm wieder als würde sie einem unvernünftigen Kind etwas erläutern, aß gleich noch einen Löffel von ihren Cornflakes. Tyson blieb aber ziemlich unbeeindruckt, sah sich diesmal wohl nicht mal dazu genötigt etwas zu sagen sondern zuckte nur kurz die Schultern. 
Ganz schön stur und unvernünftig. Dabei war er doch schon groß. Da sollte doch er derjenige sein der ihr etwas beibrachte und nicht umgedreht! Aber vielleicht war das bei bösen Verbrechern ja anders. Obwohl er ihr gar nicht so böse vorkam.
"Sag mal Kleine,", hörte sie plötzlich wieder die Stimme des Brünetten und warf ihm bei der Betitelung einen bitterbösen Blick zu. Er wirkte grüblerisch, als würde er über irgendetwas nachdenken. Ihren Gesichtsausdruck einfach ignorierend sprach er weiter als hätte er nichts bemerkt. "Deine Mutter, wie ist die so?"
Warum wollte er das wissen? Fragend, mit schräg gelegtem Kopf musterte sie ihn, kaute ihr Essen und schluckte es bedächtig herunter bevor sie abwägend fragte: "Wieso fragst du das?" Ein dünnes Schmunzeln zierte seine Lippen als er beiläufig und ruhig erwiderte: "Nur so. Also?" 


Irgendwie kam ihr das nicht ganz koscher vor aber andererseits sah sie jetzt auch nichts schlimmes daran ein bisschen über ihre Mum zu reden. War ja nicht so als würde sie irgendwelche Geheimnisse erzählen. Das würde sie nämlich ganz bestimmt nicht machen!
"Sie ist super lieb und die beste Mommy der Welt. Weißt du letztes Jahr hatte ich ihr und Daddy von Arjun erzählt, das ist ein Freund von mir und Daddy ist total ausgerastet! Weil Arjun ja schon ein Teenager ist und fast erwachsen weißt du?" 
Merkwürdigerweise hatte sie das Gefühl sowas wie... Überraschung in seinen Augen aufblitzen zu sehen. Obwohl das vielleicht ein etwas zu starkes Wort war. Vielleicht eher eine leise Verwunderung. Aber da er nichts weiter dazu sagte, erzählte Deirdre lieber weiter von ihrer Mum und der Situation damals.
Kurz überlegte sie ob es noch mehr zu erzählen gab, sah den aufmerksamen und interessierten Blick Tysons und fühlte sich dadurch dazu bekräftigt weiter zu reden. Es war toll wenn einem jemand so genau zuhörte und sich so für das interessierte was man sagte! Vor allem wenn es ein Erwachsener war. Obwohl sie sich nachwievor ein wenig darüber wunderte dass der Mann sich so für ihre Mum interessierte.
"Nachdem ich Mommy das Bild gezeigt habe was ich von dir und Lucy gemacht hab-" "Du hast ein Bild davon gemacht?", unterbrach Tyson sie mit einer leicht gehobenen Augenbraue, ließ sich aber seine übrigen Gedanken nicht weiter anmerken. 


Ein wenig ungläubig über diese ganz offensichtlich dumme Frage erläuterte sie ihm: "Ja natürlich! Sonst hätte Mommy mir am Ende nicht geglaubt und außerdem ist das ein wichtiger Beweis! Jedenfalls wollte Daddy dann lieber alleine mit ihr reden. Er denkt immer er müsse mich vor allem beschützen und ich dürfe bloß nichts falsches hören."
Augen rollend schüttelte sie den Kopf und gab ein entnervtes Seufzen von sich. "Ich glaube er nimmt an, dass ich das alles nicht verstehen würde. Wahrscheinlich hat er noch nie etwas vom Internet gehört. Ich hab dann natürlich an der Tür gelauscht." Letzteres erzählte sie ihm natürlich in einem sehr verschwörerischen Tonfall.
Kurz sah sie sogar ein Schmunzeln um die Mundwinkel des Brünetten zucken aber er unterbrach sie nicht noch einmal, schien sogar wieder sehr interessiert an dem zu sein was sie erzählte. Deshalb berichtete sie ihm dann auch gleich noch wie ihre Mom ihren Dad zur Sau gemacht und er ihr aus der Hand gefressen hatte. Sie war wirklich stolz auf ihre Mom! Ihr Dad war natürlich auch cool aber nicht so cool wie ihre Mom.
"Deine Mutter scheint ja sehr aufbrausend zu sein.", warf Tyson da auch schon ein, musterte Deirdre dabei allerdings mit forschenden Blicken und wartete wohl auf eine weitere erläuternde Erzählung ihrerseits. Das kam ihr immer seltsamer vor. Ein wenig runzelte sie nun sogar die Stirn, schindete ein wenig Zeit indem sie noch einen Löffel voll Cornflakes aß bevor sie wieder zu sprechen begann.


"Nein eigentlich nicht. Sie bleibt normalerweise immer ziemlich cool. Außer natürlich es ist was richtig schlimmes aber so normalerweise halt. Die zwei kabbeln sich öfter mal weißt du." "Verstehe.", gab er scheinbar gedankenverloren von sich, musterte das rothaarige kleine Mädchen aber nach wie vor aufmerksam.
Misstrauisch verengte Deirdre die Augen zu schmalen Schlitzen und flüsterte argwöhnisch: "Aber jetzt sag doch mal, warum willst du so viel über meine Mommy wissen? Weil sie dich gestern am Telefon angeschrien hat? Bist du böse auf sie deswegen und wolltest nur ihre Schwächen wissen? So machen Verbrecher das doch oder?"
Zuerst schien es fast so als würden seine Lippen sich zu einem belustigten Schmunzeln verziehen zu wollen, doch Tyson schien sich vorher eines besseren zu besinnen, stieß sich von der Theke ab, beugte sich vor und zu Deirdre hinunter und raunte ihr mit schmalem, trotz allem minimal amüsiertem Lächeln zu: "Wer weiß."


Wie konnte er nur! So eine gemeine, nichtssagende Antwort! Deirdre starrte ihn richtig schockiert an. Also so hatte sie sich das aber nicht vorgestellt!
Zu einer Antwort kam sie allerdings nicht mehr, da es da auch schon plötzlich an der Tür klingelte und der Brünette davon ganz offensichtlich überdeutlich abgelenkt wurde. Sein Blick wandte sich in Richtung Eingangstür, als er sich auch schon von der Theke stieß, ein schwarzes Hemd schnappte welches er heute Morgen dort zurechtgelegt hatte und es sich rasch überzog so dass die Pistole die er sich hinten in seinen Gürtel steckte nicht mehr zusehen war. 
Zuknöpfen tat er das Kleidungsstück allerdings nicht. 
Wie unvernünftig! Darüber konnte Deirdre nur den Kopf schütteln und als er dann auch noch meinte sie solle in Ruhe ihre Cerealien essen blickte sie ihm zweifelnd nach. Es wusste doch jeder, dass wenn man einem Kind sagte was es tun sollte, es genau das nicht tat. Sie hatte ihm doch sogar eben noch davon erzählt wie sie einfach an der Tür gelauscht hatte obwohl ihr Dad alleine mit ihrer Mum hatte reden wollen. Ob er wohl ein Problem mit seinem Gedächtnis hatte?
Was das kleine Mädchen von ihrer Position aus natürlich nicht sehen konnte, war das schmale, fast schon wissende Lächeln auf den Lippen des Verbrechers.

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