Dienstag, 18. Oktober 2016

Vorgeschichte Kapitel 7

7. Fehler

Lucy


Es war ein Fehler gewesen sich mit Tyson einzulassen, so viel war Lucy mittlerweile auch schon bewusst geworden. Ein großer Fehler. Und noch größer war der Fehler gewesen mit ihm in die Kiste zu steigen und auch noch schwanger zu werden. Das hatte sie nun davon.
Ein resignierendes Seufzen rollte ihr über die Lippen als sie sich zurück in die geradezu ironisch weichen Kissen des Sofas in ihrem luxuriösen Gefängnis fallen ließ. Toll. Sie hatte hier alles – Materielle - was sie sich nur hätte wünschen können. Alles bis auf scharfe Gegenstände um Tyson die Kehle aufschlitzen zu können. 
Natürlich, davon abgesehen, hatte sie sogar genau das was sie wollte. Es war nicht so als hätte er nicht getan weswegen sie überhaupt erst mit ihm in Kontakt getreten war. Sie wusste wo ihr kleiner Bruder war und sie wusste auch wer für den Tod ihres Vaters und den ‚Unfall‘ verantwortlich war. Nur brachte es ihr im Augenblick absolut überhaupt nichts. Nicht solange sie hier eingesperrt war.



Das Gesicht verziehend starrte sie zur verglasten, abgeschlossenen Gartentür, zu dem hohen Zaun um den Außenbereich und in den langsam dunkler werdenden Abendhimmel. Die Sonne stand tief, tauchte den Himmel in ein orangerotes, düsteres Licht. Ein bisschen so als würde er in Flammen stehen. Oder in Blut getaucht werden.
Warum hatte sie nur nicht besser aufgepasst. Und woher zur Hölle wusste der Ältere dass sie schwanger von ihm gewesen und ein Mädchen zur Welt gebracht hatte?! Er hatte sogar ihren Namen gewusst! Hatte er Spione im Krankenhaus oder was?! Zutrauen würde sie es ihm. Und dass es von ihm war hatte er wohl auch kombiniert… sie hatte mit niemandem sonst was gehabt und sich um die 9 Monate nicht mehr bei ihm blicken lassen… das war… nun… sie hatte sich wohl etwas auffällig verhalten. Verdammt.
Selbstverständlich war ihr klar, dass diese Situation hier bitter ernst war und wahrscheinlich sollte sie wohl mehr Angst haben… aber die hatte sie einfach nicht. Tyson war immer ‚gut‘ zu ihr gewesen und nur weil er jetzt seine Tochter wollte, hieß das ja nicht dass er deshalb scheiße war… Aber so seltsam es auch klang, Lucy wollte nicht dass ihr Kind in einem solchen Umfeld aufwuchs. Wer wusste schon in was der Dunkelhaarige sie hineinziehen würde! Am Ende passierte sonst was. Nein das konnte sie nicht zulassen.
Das Geräusch der Wohnzimmertür und ein darauf folgendes Rascheln von Kleidung ließ sie auf- und direkt in Tysons Gesicht blicken. Verdammt warum sah er nur so sexy aus wie er da oben ohne in der Tür stand! Dieser verdammte Scheißkerl sollte mal seinen verdammten Sexappeal abwerfen! Wie sollte sie denn so bitte nachdenken?!


„Na wer war an der Tür? Der als Pizzabote verkleidete super heiße Privatdetektiv der auf seinem strahlenden Ross gekommen ist um mich zu retten?“, gab sie in einem spitzen, sarkastischen Tonfall von sich, konnte den Blick aber nicht so recht von Tysons gut gebauten Oberkörper abwenden. Angesprochener allerdings hob nur eine Augenbraue und erwiderte ansonsten sehr ruhig und ausgeglichen: „Joel.“
„Woah… ich wünsche mir einen sexy Privatdetektiv und mir wird ein Gorilla mit Spatzenhirn geschickt. Was wollte er?“ 


Vielleicht sollte sie den Sarkasmus ablegen. Sie war gerade nicht wirklich in der Position auch noch Ansprüche zu stellen. Aber… warum ausgerechnet Joel?! Er war ein Idiot! Verdammt das musste doch auch Eilin klar sein dass der nicht wirklich dazu geeignet war ihr zu helfen! Na gut er war nicht vollkommen dämlich aber mit allzu viel Intelligenz war er auch nicht unbedingt gesegnet.
Besser als wenn Eilin selbst gekommen war, war es aber wohl trotzdem. Sie wollte ihre Freundin nicht in Gefahr bringen. Es war besser wenn Tyson so wenig von ihr wusste wie möglich. Auch wenn es dafür wahrscheinlich ohnehin schon viel zu spät war.
„Er hat nach dir gefragt und wollte wissen warum ich dich nicht gehen lasse.“
„Was hast du gesagt.“
„Dass er mir meine Tochter bringen soll wenn er will dass ich dich gehen lasse.“
Ihr wurde übel. Das würde Joel nicht tun oder?
Mit einem unsicheren Blick starrte sie in das forschende aber nach wie vor sehr ruhige Gesicht des Brünetten, suchte nach irgendwelchen Antworten die ihr vielleicht helfen konnten. Doch sie fand nichts. Also musste sie fragen.
„Was hat er gesagt?“
„Nein.“
Nun konnte sie doch etwas wie ein unwilliges Funkeln in den Augen des Mannes aufblitzen sehen aber er hatte sich nach wie vor gut genug im Griff um sich sonst nichts weiter anmerken zu lassen. Wahrscheinlich war er sich seiner Sache ziemlich sicher.
Unglücklicherweise befürchtete Lucy, dass er die Kleine tatsächlich irgendwie und irgendwann in die Finger bekommen würde. Ein durch und durch beunruhigender Gedanke.
„Du würdest ihr damit keinen Gefallen tun.“
„Du auch nicht.“
Sie biss sich auf die Unterlippe, wandte den Blick ab und starrte wieder aus der Gartentür. Mittlerweile war es stockdunkel draußen geworden. Die Sonne war sehr schnell untergegangen und der volle Mond stand hoch am Himmel, ganz so als wolle er sich über sie lustig machen. 
Ein für Lucy undefinierbares Seufzen erklang als Tyson sich auch schon in Bewegung setzte und neben ihr in die Kissen fallen ließ. Leicht nach vorne gebeugt, legte er seine Arme lässig auf seine Beine und fuhr den Blick gelassen gen Wand gerichtet in einem ruhigen aber unnachgiebigem Tonfall fort:
„Lucy jetzt sei doch nicht so störrisch. Du weißt dass ich meine Tochter so oder so bekommen werde, ob du sie mir nun freiwillig gibst oder nicht. Es ist ja nicht so als könntest du sie nie wieder sehen wenn sie erstmal bei mir ist.“
Aber sie konnte nicht mitkommen. Er hatte sie nur ausgenutzt weil er ihren Körper gemocht hatte aber konstant um sich haben wollte er sie nicht. Die Rothaarige machte ein unglückliches Gesicht, verschränkte die Arme vor der Brust und gab nur trotzig verärgert von sich:
„Du hast mich doch die ganze Zeit nur benutzt! Aber wirklich etwas für mich empfinden tust du sowieso nicht und jetzt glaubst du ernsthaft ich würde dir meine Tochter überlassen?!“
Er schwieg einen Augenblick, musterte sie ruhig aber mit einem verärgerten Aufblitzen in den Augen bevor er schließlich wieder das Wort erhob, viel zu gelassen und fast schon als würde er schlichte Fakten aufzählen:
„Das hast du gut erkannt. Vielleicht hole ich ja auch noch etwas mehr Nutzen aus dir raus.“


Was… das hatte er gerade nicht gesagt. Vollkommen fassungslos starrte sie ihm in die ruhigen, total entspannten Züge. Dieser… dreckige Drecksack. Wie konnte er es nur wagen! Und es ihr dann auch noch so dreist als würde er über irgendeine Scheiß Liste oder das Wetter reden ins Gesicht zu werfen. Das schlimmste daran war, dass es wirklich wehtat. Mehr als erwartet. Ihr Herz zerbröselte langsam zu einem Häufchen Staub das vom Winde verweht wurde.
Fest presste sie ihre Lippen zusammen, rutschte von Tyson weg, der scheinbar nichts dagegen einzuwenden hatte, und erhob sich vom Sofa um noch mehr Abstand zwischen sich und diesen Scheißkerl zu bringen. Er war immer noch verdammt heiß und sie fühlte sich nach wie vor viel zu sehr von ihm angezogen. Jetzt wollte sie es noch viel weniger als noch vor ein paar Minuten.
„Du würdest… mich einfach weitergeben?! Verkaufen oder was?!“
„Werd nicht lächerlich, ich treibe keinen Menschenhandel.“
„Ach, na wenn das so ist, ist das natürlich was vollkommen anderes.“
, erwiderte sie spitz und spießte ihn mit mörderischen Blicken geradezu auf. Dreckiger Drecksack. Zur Antwort bekam sie nur ein gleichgültiges Schulterzucken und die unmissverständliche Drohung: „Vielleicht mache ich es ja doch falls ich mir meine Tochter selbst holen muss.“


Das meinte er doch nicht etwa ernst?
„Wie war das nochmal mit dem ‚du treibst keinen Menschenhandel‘? Das sieht für mich aber gerade ganz anders aus.“
, fragte sie in abermals sehr spitzer, sarkastischer Tonlage, konnte die Beunruhigung allerdings nicht gänzlich aus ihrer Stimme vertreiben. Offensichtlich hatte auch Tyson sie bemerkt denn dieser musterte sie nun mit schräg gelegtem Kopf und sehr aufmerksam. In aller Seelenruhe erhob er sich von seinem Sofa, trat direkt vor Lucy und beugte sich dicht zu ihrem Gesicht, raunte ihr in fast schon drohend belustigter Tonlage zu:
„Handel wäre es wenn ich etwas für dich bekommen würde.“
Kalt lief es ihr den Rücken runter während sie ihn fast schon entsetzt anstarrte, die Augen weit aufgerissen. Nein, er wollte ihr sicher nur Angst machen.
„Das machst du nicht.“
„Bist du dir da sicher?“
Er trat einen Schritt zurück, taxierte sie regelrecht mit seinen Blicken und fügte schließlich sehr ruhig und schmal lächelnd hinzu:
„Ich könnte natürlich auch in die Zuhälter Branche einsteigen und mal sehen was sich da so an Geld mit dir machen lässt.“ 
Wie bitte. Als ob. Das konnte er vergessen. Falls irgendeiner gegen ihren Willen versuchen sollte sie anzufassen würde sie ihm sein Ding abbeißen und ihm die Augen auskratzen. Trotzdem war der Gedanke mehr als beängstigend. Sie hoffte stark dass der Ältere es nicht so ernst meinte wie es gerade in ihrer Angst für sie aussah. Ja sie hatte tatsächlich Angst. Sie würde ihm sowas durchaus zutrauen… Und das machte das ganze nur umso schlimmer.
„Du willst mir nur Angst machen.“
, presste sie wenig überzeugt hervor und verursachte dadurch nur ein weiteres dünnes Lächeln in Tysons Gesicht, als er auch schon trocken erwiderte:
„Nun als Zuhälter würde ich wohl tatsächlich nicht arbeiten. Dich einfach an einen anderen weiterreichen der sich mit dir vergnügen kann wie er will bis ich meine Tochter habe vielleicht aber schon. Ich hätte da sogar schon einen Kandidaten im Kopf dafür.“


Eisig lief es ihr den Rücken runter. Emotional in den tiefsten Winter geworfen, rieb Lucy sich über die Arme und schluckte schwer, ließ ihren Blick ein wenig ängstlich nach möglichen Fluchtwegen suchen. Ob es wohl einen Versuch wert wäre auf ihn loszugehen? Würde sie es schaffen ihn bewusstlos zu schlagen wenn sie sich irgendeinen harten, schweren Gegenstand zunutze machte? Wahrscheinlich nicht. Tysons Reflexe waren gut und er war um einiges kräftiger als sie.
"Ich gebe sie dir nicht."
, erwiderte sie trotzdem in einem Tonfall der deutlich machte wie bitterernst sie das trotz des Zitterns ihrer Stimme meinte. Sie wollte auf gar keinen Fall an irgendeinen Fremden verschenkt und.... benutzt werden. Auf welche Art auch immer. Aber im Gegensatz zu ihrer Mutter, war ihre Tochter ihr weder zuwider noch egal. Genau genommen bedeutete sie ihr sogar ausgesprochen viel, ebenso wie ihr Sohn. Hoffentlich würde Ren gut auf die Kleinen aufpassen... er war ein guter Vater und würde sicher einen guten Einfluss auf Shereena haben, auch wenn Lucy niemals mit ihm zusammen sein könnte.
"Ist das deine endgültige Entscheidung?"
Die Worte klangen kühl, emotionslos und dabei so gelassen dass die junge Frau innerlich abermals erschauerte. Sie wusste, dass das alles andere als gut für sie enden würde... aber was hatte sie schon für eine Wahl? Sie würde ihm ihre Tochter nicht überlassen. Niemals.
"Ja."
, gab sie deshalb nur tonlos aber fest von sich und spürte im nächsten Augenblick auch schon wie er sie zu sich zog und etwas aus seiner hinteren Hosentasche holte. Sie wollte sich von ihm lösen, sich wehren und ihn von sich schubsen, da spürte sie auch schon einen kleinen Stich am Hals. Nur ganz kurz aber von einer raschen Wirkung gefolgt. Er hatte ihr irgendwelche Drogen gespritzt.
Sie schaffte es zwar von ihm loszukommen, torkelte allerdings direkt darauf auch nur zum Sofa um dort in die Kissen zu fallen. Mit einem kläglichen Versuch bemühte sie sich noch einmal darum sich aufzurichten, spürte allerdings bereits wie die Bewusstlosigkeit mit kalten Fingern nach ihren Gedanken zu angeln begann.

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