Dienstag, 18. Oktober 2016

Vorgeschichte Kapitel 6

6. Bitte nicht!

Eilin


Erschrocken zuckte die Rothaarige zusammen als sie die Haustür knallen hörte und ihr kleines Mädchen weinend und ganz aufgelöst in die Küche gerannt kam. "MAAAAMAAAAAAA!!!!!", warf sie ihr jammervoll entgegen und klang dabei als würde die Welt jeden Augenblick ihrem Ende entgegensehen.
"Deidru? Was ist los? Ist irgendwas passiert? Bist du verletzt?"
Das kleine Mädchen schüttelte mit verweintem, feuchtem Gesicht den Kopf und versuchte eine Erklärung hervorzubringen, verhaspelte sich allerdings immer wieder und brachte keinen klaren Satz hervor. Wortfetzen verstand Eilin, irgendetwas mit Lucy und einem Mann und Bildern aber nichts was irgendeinen tieferen Sinn ergab. Hilflos wie eine Schildkröte auf dem Rücken starrte die junge Mutter ihr kleines Mädchen an, nahm sie beruhigend in den Arm und streichelte ihr über den Rücken.
"Schhh, ganz ruhig Mäuschen... atme erstmal tief durch und dann versuch mir nochmal ganz ruhig zu erzählen was los ist.", versuchte sie ihre kleine Tochter zu beruhigen. Ein wenig beunruhigt war sie nun doch. Normalerweise bewahrte Deirdre recht lange einen kühlen Kopf also musste wohl etwas passiert sein was sie wirklich ganz schön aus der Bahn geworfen hatte.



Ihre Worte schienen zu helfen, die Atmung des kleinen Mädchen wurde langsamer, die Tränen die ihr über die Wangen kullerten und Eilins Jeansjacke eingeweicht hatten versiegten. Rasch löste die kleine sich von ihr, wischte sich mit dem Handrücken über die Augen und blickte ihre Mutter mit einem für ihr Alter viel zu erwachsen ernsten Blick ins Gesicht. 
Ein alarmierendes Gefühl bildete sich in dem Magen der Erwachsenen, ließ ihn flattern wie ein Laken im Wind. Und zwar nicht auf eine angenehme Art und Weise.
"Lucy.... Lucy wurde mitgenommen! Von einem Mann! Und er hatte sogar eine Pistole im Gürtel stecken, ich hab sie genau gesehen! Und ganz viel Metall im Gesicht. P-piercings oder so. Und Tattoos!"
Was...? Das Gefühl in ihrem Bauch wechselte zu beklemmender Angst, schnürte ihr den Hals zu. War Lucy entführt worden? Es klang danach. Natürlich war da ein Fünkchen Hoffnung dass Deirdre die Situation einfach nur falsch gedeutet hatte aber das war unwahrscheinlich. Ihr kleines Mädchen war nicht dumm und sie konnte eine gefährliche von einer ungefährlichen Situation unterscheiden.
"Was war das für ein Mann? Weißt du wie er aussah?", fragte sie rasch, die Hände noch auf den Schultern ihrer Tochter. Sollte sie die Polizei rufen? Es wäre sicher das Beste. Andererseits... sie wusste dass Lucy in kriminelle Machenschaften verwickelt war... ihr war allerdings nicht klar gewesen wie finster die waren. Vielleicht wusste Joel etwas?


Plötzlich wurde ihr ein Handy vor die Nase gehalten. So nah dass sie überhaupt nichts erkennen konnte natürlich und deshalb erstmal irritiert zurückschreckte. "Was...?", murmelte sie verwirrt und sichtlich neben der Spur als Deirdre das Handy wieder ein wenig zurück zog und in einem ernsten, vorwurfsvollen Blick erwiderte: "Ich hab gesagt ich habe ein Foto davon gemacht! Mehrere sogar! Aber du hast einfach nicht mehr reagiert! Mommy jetzt sei doch mal aufmerksam, das ist eine ernste Angelegenheit!"
Trotz des Ernstes der Lage konnte die junge Frau sich ein leises Schmunzeln nicht ganz verkneifen. Deirdre war viel zu erwachsen für ihr Alter... dass sie sogar ihre eigene Mutter zurechtweisen musste. Sie schüttelte leicht den Kopf um die Gedanken beiseite zu wischen und nahm ihrer Tochter das Handy vorsichtig aus der Hand um sich die Bilder anzusehen.
Man konnte den Kerl leider nicht richtig erkennen, sie waren zu weit weg. Bei der Polizei würden sie wohl nicht sonderlich viel helfen. Naja ein bisschen vielleicht. 
Man konnte jedoch deutlich erkennen dass Lucy nicht freiwillig mit dem Mann mitgegangen war. Ihr Herz begann ein wenig schneller zu schlagen und die Angst kratzte unangenehm in ihrer Brust. Oh Gott, wo war ihre Freundin da nur hinein geraten... hoffentlich passierte ihr nichts... Eilin wollte nicht schon wieder einen Teil ihrer Familie verlieren. Und das war Lucy definitiv.


In dem Moment hörte sie auch schon die Tür, das leise metallische Klimpern eines Schlüsselbunds und das Rascheln von Kleidung. Ihr Herz setzte einen Moment aus als auch schon Joel um die Ecke und in die Küche getrottet kam. Oh Gott es war nur Joel... Gott sei Dank...
Dieser allerdings blieb wie angewurzelt stehen als er in das Gesicht seiner Freundin blickte. Offenbar war der Schrecken ihr deutlich hinein geschrieben. Sein Blick wanderte weiter zu Deirdre die ihn mit ernsten Augen erwiderte.
"Was ist hier los?", kam es alarmiert von dem Älteren, während dieser rasch auf sie zugeschritten kam und ganz offensichtlich noch nicht sicher war wie er auf diese Situation reagieren sollte.


"Lucy.... Lucy ist...", stammelte Eilin mit zitternder Stimme, bekam allerdings sogleich auch schon Unterstützung ihrer kleinen Tochter, die mit bitterem Ernst und mittlerweile wieder vollkommen ruhig den Satz ihrer Mutter fortfuhr: "Entführt worden! So ein komischer Mann mit Piercings und Tattoos hat sie einfach mitgenommen obwohl sie nicht wollte! Mommy zeig ihm die Bilder!"
Joels Blick sprach Bände. Er runzelte die Stirn, trat vollends auf die Beiden zu und entwendete der nach wie vor festgefrorenen Eilin das Handy um sich die Fotos näher anzusehen. Das was danach mit seinen Gesichtszügen geschah war noch beunruhigender als die Fotos selbst.
Er erbleichte vollkommen und starrte mit einer Mischung aus Schock und was beinahe noch schlimmer war, Erkennen auf den Bildschirm. Er wusste wer das war.


"Joel...? Was... wer... wer ist das...? Du guckst als würdest du ihn kennen... und... und was will er von Lucy...?", schaffte die junge Rothaarige nun doch endlich mit einem unüberhörbaren Zittern in der Stimme hervorzubringen. Nun bekam sie wirklich richtig Angst um ihre Freundin. 
Ihr Freund blickte kurz undefinierbar in ihr Gesicht und wandte sich dann ihrer gemeinsamen Tochter zu, ging vor ihr in die Hocke um ernst mit ihr zu sprechen: "Wie wärs wenn du zu den Twins gehst und schaust ob alles in Ordnung bei ihnen ist? Du hast das mit den Fotos wirklich gut gemacht aber den Rest müssen deine Mum und ich alleine besprechen ja?"
Im ersten Moment sah es schon fast so aus als wolle die Kleine widersprechen, doch dann schien es irgendwie Klick zu machen und sie lief ohne ein weiteres Wort in den Gang. Keinen Augenblick später hörten sie auch schon die Tür zum Schlafzimmer auf und zu gehen. Damit hatte Eilin nun nicht gerechnet aber Deirdre war nun mal ein schlaues Mädchen. Außerdem konnte sie sich darüber gerade wirklich keine großen Gedanken machen, sie war ganz wo anders mit ihrem Kopf...


"Was hat das zu bedeuten?! Wer ist das und warum hat er Lucy gegen ihren Willen mitgenommen?! Ihr verheimlicht mir doch irgendwas!", brach es nun leise aber mit vor Aufregung und Angst zitternder Stimme aus ihr hervor. Sie durchbohrte ihren Freund geradezu mit ängstlichen wie auch wütenden Blicken, hoffte tief im Inneren jedoch, dass Joel wusste was zu tun war und das er dafür sorgen würde dass Lucy jeden Augenblick durch die Tür stolziert kam, gesund und munter.
"Du hast Recht, wir haben dir was verheimlicht...", begann ihr Freund, trat betreten und unruhig von einem Fuß auf den Anderen und schien nicht recht zu wissen wohin mit seinem Blick. Verdammt nochmal! Das war nun wirklich nicht der Moment um Ertappter-Schuljunge zu spielen!!!
Wütend stieß sie mit ihrem Finger wie mit einem Schwert gegen seine Brust und fauchte zwar bemüht leise aber deutlich erbost: "Zur Hölle nochmal mit dir und deinem kindischen Verhalten!!! Verdammt Joel das ist ernst also hör auf dich so bescheuert zu verhalten und rück einfach raus mit der Sprache!!!"


Das hatte offensichtlich gesessen denn er schrumpfte regelrecht in sich zusammen und starrte nur noch schuldbewusster. Es machte sie wahnsinnig. Sie war schon drauf und dran ihn abermals anzufauchen, als er nach ihrem Handgelenk griff und ihren Arm sanft zur Seite schob. Sein Blick schien dem ihren auszuweichen als er resignierend seufzend zu Boden blickte und so langsam antwortete als müssten seine Worte sich erst durch ein klebriges, zähflüssiges Honigmeer kämpfen.
„Sein Name ist Tyson Knight. Ich wusste nicht dass Lucy auch ohne mich Kontakt zu ihm hat… und ich habe ihr so oft gesagt wir sollten dir alles erzählen! Aber um auf Tyson zurückzukommen, er hat ein recht hohes Ansehen in der kriminellen Szene und ein sehr großes und tiefgehendes Informationsnetz, weshalb Lucy mich darum gebeten hatte sie mit ihm in Kontakt zu bringen…“
Er stoppte, redete nicht weiter, blickte allerdings vorsichtig und ein wenig forschend auf und in das Gesicht seiner rothaarigen Freundin. Fast so als wolle er überprüfen wie sie auf diese Information reagierte. Was erwartete er? Sie war… sie wusste nicht was sie war. Sie wusste nicht was sie davon halten sollte. Oder überhaupt was sie davon denken sollte.
„Warum…. Was zur Hölle wollte sie bitte für Informationen von ihm? Und vor allem was für welche?“, brachte sie schließlich endlich kopfschüttelnd und fassungslos hervor, trat einen Schritt zurück und musterte ihren Freund bohrend.


Sie hatte doch Informationen gewollt oder? Anders könnte Eilin sich das nicht erklären. Und sonst hätte er es wohl nicht erwähnt. Aber warum unterhielten sie sich überhaupt darüber?!! Verdammt nochmal Lucy war entführt worden! Über sowas konnten sie auch noch reden sobald sie sie da raus geholt hatten!
Bevor Joel auch nur dazu kam etwas zu erwidern zischte seine Freundin auch schon aufgebracht: „Egal, das ist jetzt nicht wichtig. Reden wir darüber wann anders! Wir müssen sie retten und zwar so schnell wie möglich!“ Seine Reaktion… war weniger berauschend, fast schon enttäuschend. Und beängstigend. Er biss sich auf die Unterlippe und wich ihrem Blick abermals aus. Das passte überhaupt nicht zu ihm… und das machte es nur noch schlimmer. Was war dieser Tyson für ein Kerl?!
„Joel bitte!!!“, flehte sie in einem leisen, verzweifelten Tonfall, das Herz immer tiefer in ihre kurzen sommerlichen Hosen sackend. Sie musste doch irgendetwas tun können... sie mussten sie doch retten können... irgendwie.... "Dann rufen wir die Polizei! Wir wissen ja wie der Kerl aussieht und Fotos von der Entführung haben wir auch!", versuchte sie es weiter, starrte ihren Freund aus ängstlichen, hoffnungsvollen Augen heraus an.


"Bist du wahnsinnig?! Damit würdest du nicht nur Lucy sondern auch uns schaden! Was glaubst du wohl was er mit Zeugen die ihn bei der Polizei verraten machen wird?!" Eilins Herz gefror regelrecht zu Eis als sie die Worte hörte, ihr Blick verschwamm ihre Augen funkelten von den unterdrückten Tränen die langsam aufsteigen wollten. Das Atmen fiel ihr immer schwerer und sie fühlte sich in eine Eiswanne geworfen. 
Er hatte Angst, das war unübersehbar und das machte es nur umso schlimmer. Wo war Lucy da nur hinein geraten... Eine Mischung aus einem Schniefen und einem erstickten Schluchzer kam von der Rothaarigen als sie leise und mit deutlichem Zittern in der Stimme flüsterte: "Aber... aber was sollen wir denn dann tun...? Und was will er von Lucy...? Kannst du nicht irgendwas tun?"


Sie sah wie der Ältere sich auf der Lippe herum kaute, wie er nachzudenken schien und schließlich langsam und offenbar bemüht ruhig erwiderte, den Blick fest auf Eilins Augen gerichtet: "Ich werde mit ihm reden und fragen was er von ihr will. Vielleicht kann ich ihn davon überzeugen sie wieder gehen zu lassen. Vielleicht ist es ja auch nichts schlimmes und er wollte sowieso nur mit ihr reden. Du kennst doch Lucy, wenn sie keine Lust hat zuzuhören dann wehrt sie sich mit Händen und Füßen dagegen!"
Sein Blick sagte etwas anderes als seine Worte. Eilin konnte es deutlich in seinen Augen sehen dass er selbst nicht glaubte was er da sagte. Er war besorgt und sie war sich mehr als nur sicher dass die Sorge berechtigt war. 
"Und was ist wenn er dich dann auch noch festhält?! Das ist doch viel zu gefährlich! Wir sollten wirklich zur Polizei gehen!" "Denk mal an unsere Tochter Eilin. Sie hat die Fotos geschossen und er wird sicher herausfinden dass das ganze von ihr ausgelöst worden ist. Willst du wirklich dass er sich irgendwann dafür an unserem Mädchen rächt?"
Das saß... natürlich würde er weggesperrt werden von der Polizei... aber wahrscheinlich nicht sofort und er hatte sicher genug Möglichkeiten auch innerhalb des Gefängnisses etwas auszurichten wenn er so ein hohes Tier in der Verbrecher Branche war. Nun flossen Eilin tatsächlich ein paar Tränen der Wut und Verzweiflung über die Wangen, während sie sich fest auf die Unterlippe biss. So fest dass sie kurz darauf auch schon Blut schmecken konnte.
"Hey... wir holen Lucy da schon raus...", versuchte Joel sie zu trösten, küsste ihr sogar sanft eine Träne von der Wange.


Das kam so unerwartet, dass es tatsächlich half. Seit wann war Joel so lieb und fürsorglich... das war sie gar nicht gewohnt. Das letzte mal als er sich so verhalten hatte, hatte er sie nur ins Bett kriegen wollen! Sie bezweifelte allerdings, dass das diesmal ebenfalls der Grund war.
Aus zusammen gekniffenen, verweinten Augen blickte sie zu ihm auf, schürzte misstrauisch die Lippen und durchbohrte ihn regelrecht mit ihrem Blick. Nervös und sichtlich unruhig trat ihr persönlicher Idiot von einem Fuß auf den anderen, starrte zur Seite und meinte schließlich sichtlich unbehaglich: "Eh... also... ich mach mich gleich dran alles in die Wege zu leiten und so ja...? Also... lass den Kopf nicht hängen... und hör auf zu weinen... du... du siehst sonst aus wie eine aufgeblasene Tomate...."
Wie bitte.... mit einem geschnieften Schnauben boxte sie ihn gegen die Schulter und maulte wieder einen Tick ruhiger: "Red keinen Scheiß! Und... sei vorsichtig ja?" Die letzten Worte hatte sie etwas leiser und in einem besorgten Tonfall hervorgebracht, woraufhin Joel sich noch unbehaglicher bewegte, ihr jedoch ein aufmunterndes Lächeln schenkte. "Sicher, immer doch. Mach dir keine Sorgen." Und damit hatte er auch schon auf dem Absatz kehrt gemacht und war aus dem Haus gestürmt als wäre er ein Verbrecher auf der Flucht. Dieser Idiot. Sie schüttelte leicht den Kopf, atmete mehrmals tief ein und aus und wandte sich dann in Richtung ihres Schlafzimmers. Jetzt musste sie erstmal mit Deirdre sprechen...

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